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Channel: Kommentare zu: Gegen eine sektiererische Verengung des NAO-Prozesses
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Von: Kim B.

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Hallo Fabio,

schön, dass du die Pariser Kommune anführst, denn die Kommune war ja der erste Versuch einer emanzipatorischen, antizentralen und antistaatlichen Übergangsgesellschaft. Während der Pariser Kommune herrschte die Mehrheit über die Minderheit, die Proletarier über die Kapitalisten und Feudalisten. Von daher ist es mE falsch im Zusammenhang mit der Kommune von einer Diktatur des Proletariats zu sprechen. Eher müsste des heißen Demokratie des Proletariats, die gegen die Kapitalistenklasse aufgestellt war. Diktatur und proletarisch ist ein Widerspruch in sich, weil ja Diktatur immer mit der Herrschaft einer Minderheit verbunden ist und außerdem im Widerspruch mit dem marxschen Emanzipationsbegriff steht. Marx entwickelte diesen von Blanqui übernommenen Begriff ja auch nicht zu einem theoretischen Konzept, sondern verwendete ihn eher als eine Redewendung, als einen Kampf- oder Agitationsbegriff. Lenin aber hatte Marx beim Wort genommen und ihn so interpretiert, dass im deterministischen Sinne eine tatsächliche Diktatur des Proletariats anzustreben und von einer Avantgarde im Interesse der Arbeiter auszuführen sei. Und weil Diktatur eine politische Form ist, die nur über den Staat gesichert werden kann, kam dann am Ende so ein fürchterliches Gebilde wie der Demokratische Zentralismus heraus.

Deine Bedenken zur Versorgung der Bevölkerung während der Übergangsphase kann ich nur unterstützen. Schließlich zerschlagen die Lohnarbeiter ein funktionierendes gesellschaftlich und wirtschaftlich funktionierendes System, das bis dahin zumindest in den kapitalistisch entwickelten Ländern die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleisten konnte. Eine Übergangsform im Sinne der Pariser Kommune muss deshalb durch entsprechende und zum gegebenen Zeitpunkt zu bestimmende Maßnahmen in der Lage sein, dass die Grundversorgung weiterhin gewährleistet ist und es vor allem nicht zu Opfern durch den Mangel an den Grundbedürfnissen, Nahrung, Unterkunft, Energie u. a. kommt. Aber die hierfür notwendige Übergangsform darf sich nicht als Staat, auch nicht als revolutionärer, gerieren, mit dem Versprechen irgendwann einmal absterben zu wollen. So eine Übergangsform darf sich nur provisorisch verstehen, mit der vorrangigen Aufgabe, die Versorgung der Menschen während der revolutionären Phase sicher zu stellen, und ansonsten darauf hinzuarbeiten, so schnell wie möglich den provisorischen Übergangsstatus zu beenden.

Eine dafür vielleicht in Frage kommende Rätedemokratie sollte mE nur im Sinne der Pariser Kommune also dezentral und antistaatlich angelegt sein und nicht auf ein auf längere Zeit angelegtes Gebilde hinauslaufen, das schließlich Staatsform annimmt, unter der das Ausbeutungsverhältnis nicht aufgehoben wäre, sondern lediglich der Staat allein anstelle des Kapitals den Selbsterhalt seiner gesellschaftlichen Basis bestimmt. Ein Zentralstaat, selbst in der Form der Rätedemokratie, muss notwendigerweise zu einem, von einem undurchsichtigen Verwaltungssystem aus Planbehörden und Kontrollinstitutionen durchsetzten, Gebilde führen, wo letztlich die Entscheidungen von Spezialisten, die völlig von den Lebensverhältnissen der „normalen“ Menschen getrennt sind, getroffen werden. Da helfen dann auch Räte nichts mehr, weil jene Spezialisten, mit ihrem Fachwissen und aufs Verwalten ausgerichteten Wissensvorsprung quasi unangreifbar sein werden. Eine „richtige Demokratie“, wie du oben anführst, ist mE in so einem Gebilde nie und nimmer möglich.

Der Ansatz einer gesellschaftliche Veränderung muss in dem entdeckt werden, was verkehrt ist. Die Lohnarbeiter müssen also vor der Übergangsphase die verkehrte Wirklichkeit richtig erkannt haben, um sie als Verkehrung aufheben zu können. Und sie müssen sich auf die positiven Erfahrungen stützen können, die sie im Klassenkampf insbesondere an ihren Orten des Lebens und der Arbeit gemacht haben, dass sie sich also auf den einfachsten Lebenszusammenhang beziehen, der für sie überschaubar und verständlich ist. Im einfachsten Lebenszusammenhang der Menschen müssen die Grundlagen einer menschlichen Gesellschaft gesehen werden.

Das muss mE der Ausgangspunkt sein, wenn mensch darüber diskutiert, ob es nach dem Bruch mit dem Kapitalismus noch eines Staates bedarf oder nicht, also auf den Punkt gebracht: ob mensch sich für ein komplexes undurchdringlich kafkaeskes Staatsmonster entscheidet oder für überschaubare dezentrale, föderale Strukturen, in denen die Lebensverhältnisse fair und durchsichtig gestaltet sind. Für letzteres ist auf jeden Fall kein Staat nötig, bedarf es keiner Lenker und Führer oder einer Avantgarde, sondern dort sind die Entscheidungen unmittelbar vom Willen derer abhängig, die an diesen Orten leben. Und dafür ist die Pariser Kommune ein hervorragendes Beispiel.

Kim


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